Wünsch dir was! – Reflexionsgespräch über Wünsche und Visionen in Vorbereitung auf den Workshop am 12. Mai

In dieser Folge sprechen wir (Svenia und Hanna) spontan über was Wünschen und Visionen für uns bedeuten und warum es uns wichtig war, einen Workshop zu diesem Thema gerade jetzt anzubieten. Über die kommenden zwei Wochen, bis zum Workshoptermin, werden wir noch dazu einen Schreibsprint hier unten veranstalten, wo wir jeden Tag abwechselnd Wünsche und Visionen schreibend reflektieren, und uns Impulsworte oder Impulssätze für den kommenden Sprint weitergeben. Das erste Impulswort kommt aus dem Gespräch und ist „Wirksamkeit“. Jedes neuen Impulswort oder jeder neuen Impulssatz wird hier unter dem aktuellsten Textstück stehen, und wird auch über unseren Facebookseite gepostet. Wenn du Lust hast in Dialog mit uns über diesem Thema zu gehen, mach gerne einen eigenen Free-writing zu einem von den Impulswörter und schick es uns zu oder poste im Facebookevent.

SCHREIBSPRINT – Wünsche und Visionen

„Wirksamkeit“

Ich versuche sofort das Schwedischen Wort dafür zu finden, einfach so in meinem Kopf. Aber finde keine Übersetzung. Wirksam zu sein, sich wirksam zu fühlen. Eine Wirkung haben – im eigenen Leben oder in den Leben anderer Menschen. Wie lässt sich das einschätzen, wie wirksam ich wirklich bin? Wer entscheidet das und wann? Ich denke an alle Autor_innen und Künstler_innen, deren Bedeutung erst lange nach ihren Tod für die Welt klar wurde. Menschen, die ein Leben lang an sich und ihre Arbeit gezweifelt haben, die mit finanziellen Not gekämpft haben, gehungert sich durchgekämpft… Ich kann nicht wissen, was meine Entscheidungen jetzt für Bedeutung in der Zukunft haben werden. Nicht mal was sie für die nächsten Jahren mit sich bringen werden. Das gleiche gilt für meine Wünschen und Visionen – ich kann nicht wissen, was mit ihnen passieren werden, ob sie sich verwirklichen lassen oder nicht, und wann. Ich kann mir etwas wünschen und wünschen und über Jahren passiert nichts. Bedeutet es dann, dass das Wünschen und Visionieren unsinnig oder wertlos ist? Nur weil ich nicht genau das bekomme, was ich mich wünsche? Wann werden meine Visionen und Wünschen wirksam und wie? Ich denke, das Visionieren ist schon im Moment selbst sofort wirksam, weil es etwas tief in mir drin tut, wenn ich mich mit meinen Visionen verbinde. Wenn ich mich ernst frage was meine Vision für mich und die Welt wirklich ist, und mich dafür Zeit gebe, die Antwort aufmerksam nachzugehen, dann kann es auf der eine Seite alte Angst, Schmerz und Frust in mir wecken, von Situationen in der Vergangenheit wo ich nicht das erreicht und bekommen habe, was ich mich so innerlich gewünscht habe, aber gleichzeitig, wenn ich diese Gefühle nicht dafür benutze mich sofort wieder zu entmutigen, sondern als Zeichen dafür, wie wichtig mir diese Visionen wirklich für mich sind, dann weckt es auch einen Kraft in mir, die stärker ist als alles andere – eine Herzensverbindung. Die Vision ist schon wirksam für mich sofort wenn ich es mir erlaube mit ihr zu sein, und sie ist wirksam für andere sobald ich der Mut habe, sie in Ausdruck zu bringen und zu teilen.

„Die Vision ist schon wirksam für mich sofort wenn ich es mir erlaube mit ihr zu sein, und sie ist wirksam für andere sobald ich der Mut habe, sie in Ausdruck zu bringen und zu teilen.“

Im allerersten Moment hatte ich ein klares „Ja“ zu diesem Satz. Und ich sehe es auch für mich, für ganz viele Bereiche in meinem Leben. Das was ich mir wirklich wünsche, das worauf ich meine Aufmerksamkeit gerichtet habe, das ist in den allermeisten Fällen auch eingetreten. Nicht immer direkt. Die Wohnung, die ich mir gewünscht habe, habe ich erst 15 Jahre später gefunden. Aber dann war sie da. Ich bin keine professionelle Dressurreiterin geworden, aber das ist vollkommen ok, weil ich auf dem Weg dahin bemerkt habe, dass mir der Preis zu hoch ist. Das ich dauerhaft in diesem Feld unglücklich wäre. Aber das war auch nur möglich, weil ich mich darauf zu bewegt habe. Etwas anderes ist der Kinderwunsch, den ich in mir trage. Ich kann hier nicht „reinschnuppern“, ich kann mich nicht „vorsichtig ausprobieren“. Ich muss es ganz und gar machen. Es gibt Momente, in denen ich viel Vertrauen habe, dass das richtige passieren wird und Tage, an denen ich weniger vertraue. Aber wenn ich auf mein Leben bis jetzt zurückblicke, dann bin ich sicher, dass die Wünsche und Visionen, die auch zu mir passen, sich erfüllen.

„Es gibt Momente, in denen ich viel Vertrauen habe, dass das richtige passieren wird und Tage, an denen ich weniger vertraue. „

Vertrauen und dann wieder Zweifel. Sich etwas zu wünschen, mit der Forderung es musste auch sofort oder wenigstens bald in Erfüllung gehen. Oder wie du schreibst einfach Vertrauen, dass das „Richtige“ passieren wird, was vielleicht dann auch etwas anderes sogar sein könnte, als genau das was man sich als erstes gewünscht hat. Erfüllung ist ein besonderes Wort. Das habe ich selten auf Deutch benutzt. Fühlt sich wie aus den Märchen. Ich wünsche mir was und es geht in Erfüllung oder es bleibt unerfüllt und ich fange an an mir selbst und an alles zu zweifeln. Was heißt das überhaupt, dass etwas in Erfüllung geht? Es gibt viele Sachen, die ich mich gewünscht habe, die ich nicht bekommen habe oder die nicht passiert sind. Vielleicht wie mit deinem Wünsch, Svenia, Dressurreiterin zu werden. Als ich acht-neun Jahre alt war hatte ich eine sehr starke Vision zusammen mit meiner besten Freundin, dass wir zusammen einem Haus auf dem Land haben würden, mit vielen Tieren, besonders Hünde und Katzen, und mit einem großen Schwimmingpool im Garten, und mit einer langen Rutsche vom Dach. Wir haben über Wochen darüber geredet und Zeichnung gemalt und Listen über alles was dabei sein musste. Ich könnte es mir genau vorstellen, wie es sein sollte. Es hat mir glücklich gemacht darüber nachzudenken und mir alles vorzustellen. Und jetzt wohne ich in einem Hochhaus mitten in Berlin, ohne Hund und ohne Katze. Manchmal wünsche ich mir jetzt, besonders im letzten Jahr während Lockdown, irgendwo zu wohnen wo ich mehr Natur um mich herum hätte. Ziemlich oft, habe ich mit meinem Partner darüber gesprochen, was es für Möglichkeiten gäben, irgendwo am Stadtrand zu ziehen. Aber ich bin gleichzeitig die meiste Zeit sehr glücklich hier, weil es so viele Sachen für mich vereint, die mir auch jetzt sehr wichtig sind, und die wahrscheinlich auch damals teil von meiner Wünsch mit der Freundin war – schöne Verbindungen mit Nachbarn, viel Leben und Bewegung um mich herum, eine schöne Zusammenhang in dem ich mich kreativ einbringen kann, sehr gute Freunde in der Nähe, kurze Weg zur Arbeit so dass ich wenig Zeit für das hin- und zurück verliere. Immer wieder kommen Momente, wo ich alte und neue Wünsche und Bedürfnisse sich laut machen, und meine bisherigen Entscheidungen in Frage stellen, wo ich mich plötzlich frage ob ich nicht ganz anders leben möchte – vielleicht tatsächlich auf dem Land, aber gerade fühlt es sich weiterhin so an, als ob das hier noch das richtigste für mich ist.

„(…) gerade fühlt es sich weiterhin so an, als ob das hier noch das richtigste für mich ist.“

Heute ist wieder so ein Tag, an dem ich mich frage, ob es wirklich so ist, dass das was ist gerade wirklich das richtigste für mich ist, oder ob ich einfach nur zu feige bin, mich in ein Abenteuer zu stürzen. Was werde ich in fünf Jahren, von jetzt aus gesehen, über mich denken? Werde ich denken, dass es schade war, dass ich mich nicht getraut habe? Oder werde ich denken, wie gut, dass ich nicht alles aufgegeben habe und darauf aufbauen konnte? Heute bin ich über das Profil eines Meeresbiologen, Forschungstauchers und Unterwasserkameramanns gestolpert. Mein erster Gedanke war, dass ich auch gerne so ein Leben führen würde. So vielen Menschen und Tiere begegnen und immer neue Abenteuer erleben. Ich denke, dass solche Menschen nie Angst vor irgendetwas haben und immer nur nach ihrem Herzen entscheiden. Ich würde supergerne Mal mit so jemandem ein Gespräch führen und herausfinden, ob das stimmt und vor was jemand, der/die so lebt eigentlich Angst hat.

„Abenteuer“

Heute Mittags habe ich mit einem Freund gesprochen, der sich gerade in einem Abenteuer gegeben hat. Er hat etwas gewagt, und es hält ihn in den letzten Wochen wach und warm, errinert ihn ständig, dass er am Leben ist und Entscheidungen treffen muss. Alles aus etwas, das er sich gewünscht hat – eine tiefe Verbindung, berührt sein, bewegt sein… Ihn zuzuhören macht es wieder für mich klar, dass es niemals aufhört: Ich muss mich auch erinnern, dass ich mein Leben jeden Tag wähle: Die kleine Entscheidungen im Alltag, die dumpfe Routine werden können, oder kleine Abenteuer. Die Begegnungen mit meinen Liebsten, die Zeit, die ich mit ihnen verbringe – dass ich manchmal ständig dabei irgendwo anders im Kopf bin als gerade da – stattdessen mit meiner To-Do-Liste und unterschiedlichen Erledigungen und praktischen Überlegungen beschäftigt, oder mit Ängsten ich hätte etwas vielleicht ein bisschen falsch gemacht, oder es könnte sein jemand hat es falsch verstanden… Es tut so weh daraus aufzuwachen und zu merken, dass ich am wenigsten richtig wache Zeit verbringe, mit den Menschen, die mir am meisten bedeuten. Als ob ich die ganze Zeit nur in der Warteschlange zu etwas anderes bin, wenn ich eigentlich gerade da bin, wo ich mich die ganze Zeit hingewünscht habe. Ich will nirgendwo anders sein als da wo ich gerade bin, ich wünsche mir nur ich könnte es noch stärker wahrnehmen, da wo ich gerade bin. Kleine Abenteuer gestalten aus dem was da ist. Wie einfach es wagen einander zu fragen: „Was wünscht du dir?“ „Wenn du dir etwas von mir gerade jetzt wünschen könntest…?“ Wie in den Märchen wieder (- immer Märchen für mich wenn es um Wünschen und Visionen geht). Immer diese Märchen, wo jemandem sich etwas wünschen darf – was auch immer er will. Sie haben mich immer als Kind fasziniert. Was würde ich mich dann wünschen? Was wäre groß genug? Was wäre wichtig genug? Was würde mich am weitesten bringen?

Sehr lustig aber auch irgendwie schmerzhaft frustriernd fand ich das Märchen über ein Mann der drei Wünsche bekommen hat, und weil er gerade Hunger hatte, sich als erstes spontan einen Wurst gewünscht hat. Seine Frau hat sich so mit ihm geärgert, dass er den ersten Wunsch auf etwas so blödes, kleines verschwendet hat, dass sie aus Wut gesagt hat: „Ich wünsche mir, dass der Wurst auf deiner Nase saß!“, und so mussten sie den dritten Wunsch dafür benutzen, um den Wurst von der Nase des Mannes wieder zu entfernen.

Eigentlich gibt es viele Sachen, die ich mich wünsche, aber wenn ich mich sie ernst anschaue, gibt es vieles, das ich nicht einfach so bekommen möchte, es würde sich nicht richtig anfühlen, und auch vieles davon, würde, wenn ich ganz ehrlich mit mir bin, mich nicht glücklicher machen. Was sind die richtig wichtige Wünschen? Ich denke, vielleicht musste ich dafür viel kleiner anfangen: Mir wünschen in diesem Moment einfach hier zu sein. Mir wünschen, dass ein von meinen Liebsten, die Hand auf meinem Stirn legt und einfach da neben mir bleibt. In dem Moment ist alle andere großen Wünschen gerade nicht so wichtig, merke ich.

„Mir wünschen, dass ein von meinen Liebsten, die Hand auf meinem Stirn legt und einfach da neben mir bleibt.“

Ich bin total berührt von Hannas Worten. Ich musste darüber nachdenken was für ein riesen Geschenk es ist, wenn jemand einem (freiwillig und gerne) die Hand auf die Stirn legt und bleibt. Das ist etwas, dass ich mir auch „erarbeiten“ kann, aber es ist nicht dasselbe, ob es von meinem Gegenüber aus kommt, oder ob ich es aktiv einfordere oder jemanden dafür bezahle. Es ist ein Geschenk. Ein Moment der Entspannung. Ein Moment der Nähe und Intimität. Ich kann mir das Wünschen, aber ich brauche ein Gegenüber dafür. Es ist ein Abenteuer, dass sich auch nach innen richtet. Oder richtet sich ein Abenteuer nicht immer auch nach innen? Etwas aus dem Außen, das mein Innen berührt? Ich erinnere eines meiner größten Abenteuer war mich auf 10 Tage Schweigen, Stille und Meditation einzulassen. Ich hatte Angst vorm dem Chaos, dass sich möglicherweise von innen Bahn brechen könnte. Das Einlassen war der erste Schritt. Gelandet bin ich ganz woanders.

„Das ist etwas, dass ich mir auch „erarbeiten“ kann, aber es ist nicht dasselbe, ob es von meinem Gegenüber aus kommt, oder ob ich es aktiv einfordere oder jemanden dafür bezahle.“

Es gibt viele Wörter und Sätze und Gedanken hier, an denen ich gerne weiterspinnen möchte: Zum Beispiel über den Abenteuer, dass immer sich auch nach innen richtet – vielleicht, dass sogar immer von innen anfängt und da aufhört. Ich wage es mir etwas tief tief zu wünschen und es bewegt etwas in mir wie die ersten kleinen Vibrationen eines Erdbebens. Ich mache neue Schritte in meinem Leben, bewege mich auf etwas oder auf jemanden zu oder davon weg, und gleichzeitig gehe ich auf der Reise durch meinen inneren – Bergen, Talen, Schluchten, mächtige Wasserfälle, und zarte Wiesen, wo es sich wunderbar ausruhen lässt. Entecke neue Landschaften in mir drin dadurch, dass ich kleine Steine in Rollen gesetzt habe. Und wieder kommt mir in Erinnerung ein Abenteuerbuch von einen meiner Lieblingsautorinnen, Tove Jansson. Meine Mutter hat mir den Link zu einem Audio-Aufnahme davon letzte Frühling geschichkt, als es gerade mit der Pandemie los ging, und es hat so gut zu der Stimmung da gerade gepasst, es in der Zeit zu hören: Ein Komet bewegt sich auf die Erde zu und wird vielleicht in wenigen Tagen alles vernichten. Alle die unterschiedlichen Figuren reagieren auf ihren Art und Weise – mit Ruhe, Panik, Zynismus, Aufregung… Die kleinsten von den Muminfiguren entscheiden sich auf einen Abendteuer zu gehen, zu den Forschern bei dem Observationsturm um sie zu fragen, was ein Komet ist, und was passieren wird, und auf den Weg sammeln sie wichtige Begegnungen und Erkenntnisse, die ihr wachsen und als selbstständige Menschen da stehen lassen…

Und gleichzeitig entscheide ich mir stattdessen doch ein anderen Satz aus deinen Text, Svenia, auszuwählen, weil ich diese Überlegung so spannend finde, was es heißt sich selbst etwas zu „erarbeiten“ und was wenn etwas einfach von meinem Gegenüber als einen Geschenk kommt, ohne dass ich es einfordere. Ich denke, dass es vielleicht doch nicht so eine klare Grenze dazwischen gibt: Manchmal werden Wünsche einfach von meinem Gegenüber erfüllt, ohne dass ich sie ausgesprochen habe, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass ich einen wichtigen Schritt gemacht und etwas verändert habe, einfach dadurch, dass ich in meinem inneren mich erlaubt habe, mir das zu wünschen. Und manchmal, wenn ich es wage einen Wünsch an jemanden anders auzusprechen, oder sogar etwas dafür aktiv zu unternehmen – einen Kurs oder Behandlung buchen, habe ich trotzdem eher das Gefühl dabei, als ob es fast von sich alleine passiert ist, ohne dass ich etwas dafür machen musste – ein Geschenk genau in dem richtigen Augenblick.

(…) wenn ich es wage (…)

Die Formulierung „etwas wagen“ habe ich schon lange nicht mehr gehört. Und sie hat in mir etwas berührt, dass tiefer geht als „mutig sein“. Mutig sein kann ich eigentlich oft ganz gut. Es ist für mich etwas oberflächlicher, als etwas wagen. Wenn ich mutig bin, dann bin ich das in dem ich mich überwinde, ich kann etwas mit Kraft überwinden. „Etwas wagen“ verbinde ich in diesem Moment mit etwas das tiefer geht. Ich muss mein Herz mitnehmen. Ich muss es öffnen und den Schmerz erlauben, die Angst, dass es schief gehen könnte, dass ich möglicherweise auf meinem Weg etwas verliere. Wenn ich mutig bin, dann muss ich „nur“ etwas überwinden. Aber „etwas wagen“ ist was, dass man nicht jeden Tag macht. Wenn ich etwas wage, dann riskiere ich auch etwas zu verlieren.